Gedanken anlässlich des Jahrestags der Synagogenbrände während der Kristallnacht

3. května 2014

Im November vergangenen Jahres gedachte die Welt zum 75. Mal der Kristallnacht, die ihren Namen von den Splittern zerschlagener Auslagen jüdischer Geschäfte und Synagogenfenster erhalten hat. Vom 9. auf den 10. November kam es in ganz Deutschland, in Österreich und auch in den Sudetengebieten, die damals bereits dem Reich angeschlossen waren, zu einem organisierten Überfall auf die Juden. Dutzende von Synagogen wurden zerstört und gingen in Flammen auf, Hunderte Geschäfte wurden geplündert. Es kamen nahezu hundert Menschen um und in den folgenden Tagen wurden dreißigtausend Juden in Konzentrationslager verschleppt. Vorwand für den Pogrom war das Attentat des Juden Herschel Grynszpan auf den Sekretär der deutschen Botschaft in Paris, Ernst von Rath.

Ein Gottesdienst und eine pietätvolle Totenfeier

An dieses traurige Ereignis haben wir in Česká Lípa mit einem gemeinsamen Gottesdienst unter der Beteiligung von Vertretern christlicher Kirchen und Vertretern der jüdischen Gemeinden von Dečín und Liberec erinnert. Die Versammlung fand in einer nahegelegenen Kirche statt, in der wir unter anderem auch eine Rede über Schikane hörten. Der Prediger machte darauf aufmerksam, dass der Weg von harmloser Schikane zum Pogrom nicht lang sein muss und jeden Einzelnen und die Nation betrifft. Die pietätvolle Totenfeier am Platz der einstigen Synagoge leitete der Kantor Ivan Kohout und es sprach der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Herr Vladimír Poskočil aus Děčín. Es freute mich, dass auf unsere Einladung hin auch einer der Organisatoren einer ähnlichen Veranstaltung im nahegelegenen Zittau, wo von der Synagoge nur eine Gedenktafel und eine Baulücke geblieben sind, nach Česká Lípa gekommen war.

Eine zweimal ausgebrannte Synagoge und eine gerettete

In Česká Lípa bekennt sich heute wohl niemand mehr zum Judentum und die Gemeinschaft, die hier noch vor dem Krieg etwa 400 Mitglieder zählte, existiert nicht mehr. Die meisten haben den Holocaust nicht überlebt und einige Dutzend Rückkehrer sind nach dem Krieg nach Israel oder in andere Teile der Welt gegangen. Dass sie hier keine Annahme fanden, hängt auch damit zusammen, dass sie überwiegend deutsch sprachen und das kommunistische Regime den „Zionisten“ auch nicht gerade gewogen war. Die einzige Erinnerung an die monumentale Synagoge aus dem 19. Jahrhundert ist eine kleine Gedenktafel auf einem großen Parkplatz und der Straßenname in einem ehemaligen jüdischen Viertel, das in den Aufbaujahren des Sozialismus jedoch auch untergegangen ist. An die Absurdität der Ereignisse erinnerte auch der Historiker Ladislav Šmejkal, als er darauf aufmerksam machte, dass die Synagoge zweimal angezündet wurde. Der erste Brand wurde noch von nichtinformierten Feuerwehrleuten gelöscht. Beim zweiten Mal hatten sie bereits Instruktionen und schützten nur die umliegenden Gebäude. In Nordböhmen ist kaum eine Synagoge der Zerstörung entgangen. Eine Ausnahme ist nur die Stadt Děčín. Hier befindet sich die Synagoge unweit der evangelischen Kirche in relativ dichter Bebauung und in schwer zugänglicher Hanglage. Dies hat wohl – dank der Intervention des deutschen Bürgermeisters der Stadt – zur Rettung des Objekts beigetragen. Der Bürgermeister argumentierte mit der Befürchtung, ein Brand könne sich auf die umliegenden Gebäude ausweiten.

Zu Besuch im benachbarten Děčín

Die Synagoge in orientalischem Stil ist wirklich sehr schön. Ihre Kuppel erinnert an den einzig erhaltenen Bau eines tschechischen Architekten in Hiroschima. In der Stadt gibt es auch eine jüdische Gemeinde und die Synagoge wird sowohl für Gottesdienste als auch als kulturelles Zentrum genutzt. Das Entgegenkommen der örtlichen Gemeinde konnten wir bei zwei Besuchen persönlich kennenlernen – zuerst als es um die Vorbereitungen der Veranstaltung in Česká Lípa ging, später bei einer Chanukka-Feier, zu der uns die Děčíner nach der Erinnerungsfeier in Česká Lípa eingeladen hatten. Der Chanukka-Kranz und die zeitliche Nähe zum christlichen Advent sind jedoch das einzige, was diese beiden Feste verbindet (natürlich außer dem Glauben an den gemeinsamen Gott, denn HERRN). Auch der Gottesdienst, dem noch das Einstudieren traditioneller Tänze vorausging, unterschied sich sehr von einem christlichen Gottesdienst, war nahezu orientalisch und nicht rational. Er dauerte jedoch nur etwa eine halbe Stunde, was inspirativ sein kann :-) Darauf folgte die Bewirtung. Ob es „koser“ war, weiß ich nicht. Die Děčíner Gemeinde ist für ihren Liberalismus bekannt und die Teilnahme von Christen störte niemanden. Ich hoffe, dass wir nicht das letzte Mal zu Besuch waren.

Gotteshaus auf unterschiedliche Art

Das Wort Synagoge stammt aus dem Griechischen (synagogein – Versammlung). Das Hebräische benutzt die Worte Bejt ha-kneset (Versammlungshaus, ein Ausdruck für das Parlament). Ich denke, dass „Versammlung“ nicht nur Begriff für eine lebendige Gemeinde sein muss. Religiöse Bauten werden sowohl zur Verehrung als auch zur gegenseitigen Begegnung gebaut. Beides ist unvollendet – sowohl das menschliche Bemühen, den HERRN mit schöner Architektur zu feiern und etwas von dieser anderen Dimension des Seins nahezubringen, als auch die Versammlung der Gemeinde, in der es oft ungesunde Beziehungen unvollkommener menschlicher Wesen gibt. Rund um die mittelalterlichen Kirchen wurden Friedhöfe angelegt und so ging es um eine Versammlung von Lebenden und Toten. Die Synagogen erinnern heute oft nur noch an die Toten. Falls sie erhalten geblieben sind, funktionieren sie heute nur selten so wie im Falle der lebendigen Gemeinde von Děčín. Manche dienen uns Christen als Versammlungsort, andere als Museum oder anderen Zwecken. Wohl die einzige moderne Synagoge bei uns – ebenfalls in Nordböhmen – befindet sich in Liberec. Dies jedoch ist bereits ein gelungener Neubau, der Teil des lebendigen Zentrums der Bezirksbibliothek ist. In Česká Lípa oder anderen kleineren Städten wird wohl nie mehr eine neue Synagoge gebaut werden, es ist jedoch sinnvoll, der Versammlung von Lebenden und Toten zu gedenken. Die Wege dazu können verschieden sein.

Jan Kirschner

Foto Autor und Reproduktion aus dem Museum Česká Lípa